JESELLIGKEIT JOTTWEDEE – Freizeit anno dunnemals
Über 127 Jahre Lust und LabSaal – Beitrag von Jörg Hensel
Schon die 1844 am Alten Dorfkrug errichtete Kegelbahn war wohl nicht für die wenigen Lübarser Einwohner gedacht, der 1896 errichtete Festsaal ganz gewiss nicht. Er wurde mitsamt dem neuen Wirtshaus gebaut, nachdem der überkommene Krug mit seinem Strohdach Feuer fing und völlig abbrannte. Das Geld für den Neubau verschaffte sich der Krüger Seeger durch den Verkauf von Ackerland am Vierrutenberg an einen Ziegelfabrikanten. Lübarser Backsteine und Terrakotten dienten unter anderem zum Bau des Roten Rathauses von Berlin.
Wer heute im Lübarser Strandbad schwimmt, ahnt kaum, dass dies ein abgesoffener Tonstich ist. Der neue Gasthof mit „Ausspannung“ war gleich nach der Jahrhundertwende ein beliebtes Ziel für „Landpartien“. Berliner Handwerker und Händler kamen mit Pferd und Wagen. Hier konnten „Familien Kaffee kochen“, die mit der „Elektrischen“ bis nach Rosenthal fuhren und sodann auf „Schusters Rappen“ herüberkamen. Die auf vornehme Blässe bedachte Damenwelt ließ sich vom vorsorglich annoncierten „schattigen Naturgarten“ anlocken. Am Sonntagnach-Mittag fiedelte der Dorfstellmacher Hamster mit Baß- und Paukenbegleitung. Der Schwager Martin Zimmer und Nachfolger des 1906 von einem Auto überfahrenen Wirtes Carl Seeger trug im gleichen Jahr „Schauspielerdressierte Tiere aus Italien“ ins Fremdenbuch des Gasthauses ein.
Zu den ständigen Saalnutzern gehörte der „Rauchclub zur Linde Lübars“ von 1892 (auch „Piepenclub“ genannt), der „Gesangverein Harmonie“ und der „Turnverein Jahn Lübars“ von 1906. Theaterspiele leitete Pfarrer Theuerkauf (Liebespaar vom Dienst: Wirtstochter Friedel und Albert Hensel). Tanzanlässe waren Erntefeste, Maskenbälle, Stiftungsfeste von Schützenverein, Feuerwehr und Siedlungs-genossenschaft. Es gab Filmvorführungen der Konsumgenossenschaft, Solidaritätsveranstaltungen der ev. Frauenhilfe und der internationalen Arbeiterhilfe IAH. Kleintierzüchter ließen Viehzeug küren, Parteien stritten im Wahlkampf und schließlich marschierte SA mit Nagelschuhen auf dem Tanzboden.
Während des 2. Weltkrieges dann musste der Saal Flugzeugmotoren verbergen. Zur 700-Jahrfeier von Lübars brachte der kommunistische „Kulturbund“ mit „Kudde“ Wittmann erstmals Bigbandjazz ins Dorf. Bei „Heißgetränk“ aus Alkolat erholten sich Tanzwütige von Jitterbug und Boogie-Woogie. Mit „Grün ist die Heide“ und Western für Ostler erlebte das „Fortuna-Filmtheater“ Lichtblicke seiner 10-jährigen Ära. Anschließend war der Saal ein Lager für Senatsreserven (Kali zum Ackerbau im Tiergarten für den Fall einer neuen Blockade Berlins). Die stille Gesellschaft der Säcke dauerte bis der NATUR & KULTUR (LabSaal Lübars) e.V. dem alten Gemäuer neuen Geist einhauchte und den verkalkten „Chicsaal“ erneut für Ohrenschmaus und Augenweide herrichtete und 1999 das gesamte Ensemble kaufte.
Kunstgenuss für Leute von heute – LabSaal statt Trübsal.